Das Gastspiel von MÉLANGE im PiK bringt die beiden Künstler Jonas Lund (1984 Schweden) und Timm Ulrichs (1940 Berlin) zusammen und Lund erstmalig nach Nordrhein-Westfalen.
Was die grundlegend unterschiedlichen Werke beider Künstler verbindet, ist das Arbeiten mit empirischen Modellen und Daten, die zwischen Realität und Idealismus zu schweben. Im Vertrauen auf die reinen empirischen Ergebnisse geht jedoch nicht nur das Vertrauen in sich selbst, sondern das Gefühl eines Urteilsvermögens verloren. Warum selbst schaffen und denken, wenn es genauso jemand anderes übernehmen kann? Während nahezu jeder gesellschaftliche Aspekt quantifizierter und messbar geworden ist und im Sinne eines Benchmarktests auf seine Leistungsfähigkeit untersucht werden kann, wird das eigenständige Handeln zusehends irrelevant. Zwischen Vermessung und Weltauffassung besteht nur ein dünnes Band, welches beide Künstler immer wieder berühren.
Timm Ulrichs blickt auf ein breites Oeuvre zurück und seine künstlerischen Leistungen können hier nicht zusammengefasst werden. Retrospektiven wie im Sprengel Museum in Hannover 2010 zeugen von Ulrichs wichtiger Position in der jüngeren Kunstgeschichte. Ulrichs hat es sich zum Ziel gesetzt das Leben des Künstlers in all seinen Facetten, unter Verwendung seiner Begriffsschöpfung des „Totalkunstwerkes“ und seines eigenen Körpers, auszuloten. So stellt er 1961 einen lebenden Künstler – sich selbst – aus, und verweist somit auf die prekäre Rolle des Künstlers innerhalb des Kunstsystems. Indem er das menschliche Dasein in seiner Dauerhaftigkeit, in all seinen Erfahrungen dar- und ausstellt, produzieren seine Werke eine Art Hyperrealismus und nehmen schon früh heutige Verhaltens- und Bildkulturen unserer Ausstellungsgesellschaft vorweg. Der Körper wird zu Oberfläche eines radikalen Endpunktes, hinter dem nichts mehr kommen kann. In der Wortwörtlichkeit wie etwa der Tätowierung von „THE END“ auf sein Augenlied oder „A =/ a“, kommt es in seine Arbeiten doch immer wieder zu ironischen Brechungen.
In den 1970er kommen Arbeiten hinzu, die sich mehr den wissenschaftlichen Vermessungen und Dokumentationen widmen, aus dessen Zeit auch ein Großteil der hier gezeigten Werke stammt, wie zum Beispiel die Vermessung seiner Haut oder der endoskopische Reise durch seinen Körper.
Ulrichs Empirismus zeigt in aller Offensichtlichkeit, wie zweifelhaft es ist, ein Ideal aus der statistischen Realität abzuleiten, dessen einziger Zweck die Bewertung und Klassifizierung des Individuums ist.
Während Ulrichs somit die analoge Realität des Künstlerkörpers maßgeblich thematisiert, geht Jonas Lund der Lebensrealität von Kunstwerke nach, die sich zusehend im dauerhaften Wettlauf um Aufmerksamkeit, Wert und Wachstum, ebenfalls Prozessen der Optimierung, zuwenden. Seine Werke bearbeiten die Verteilungsmechanismen und die damit verbundenen Produktions- und Vermarktungsstrategien von Kunstwerken. In den letzten sechs Jahren hat er die inflationäre Rolle von Kunstwerken (im speziellen von Malerei) im Rahmen marktstrategischer Verkaufsmodelle analysiert und in dessen Folge auch imitiert. Gezwungen durch den ständigen Druck nach künstlerischer Kreation hat Lund seine Produktionsprozesse immer mehr verfeinert, indem er sie unter anderem an eigens geschriebene Programme outsourced, die den kreativen Denkprozess zu übernehmen meinen. Der Analyse von Seiten wie Artrank oder Artsy, ging die Frage voraus, wie und ob sich DAS erfolgreiche Kunstwerk schaffen lassen könnte, dessen einziges Ziel das der Wertsteigerung ist. Die drei großformatigen Leinwände aus der “Studio Practice” Ausstellung (2014) sind mit die letzten Überlebenden von 93 Arbeiten. Lund engagierte Assistenten, deren Aufgabe es war, ausgehend von einer 300-seitigen Anleitung prozess-basierte Malereien herzustellen, während ihrem Schaffen per Live-Stream zugeschaltet war. Nach Fertigstellung wurde von einer Jury aus Künstlern, Galeristen, Sammlern und Kunstberatern über den Verbleib der Malereien geurteilt, ob sie zerstört oder signiert werden sollten. Am Ende durften insgesamt nur 4 Arbeiten von Lund signiert werden. Die Arbeit aus der Serie “New Now” (2016) vertieft die Idee der Optimierung des künstlerischen Prozesses. Basierend auf einem Algorithmus, der den Erfolg der Werke garantieren soll. In der Analyse seiner bisherigen markttauglichen Arbeiten, entsteht in der Folge ein visuell reizvoller Werkskörper. Die programmierte künstlerische Intelligenz des Künstlers, wird in der Folge zum Künstler selbst und diktiert was für Arbeiten entstehen sollen. Bei “Hype Cycle” (2016) handelt es sich um eine intelligente Videoarbeit, die sich selbst immer wieder aktualisiert, um die aktuellsten Hypes in Kunst, Wirtschaft und Technologie zu verfolgen. Bilder, Texte und Videos werden aus einer Reihe von Online-Quellen gefiltert und mit bereits definiertem Material vermischt, sodass sie eigenständig arbeiten kann.
Im letzten Jahr beschäftigte sich Lund mit dem Aspekt des User-Feedbacks und der Möglichkeit des Besuchers aktiv mit der Ausstellung zu interagieren. Im Sinne einer Feedback-Schleife, sollte der Beitrag des Users wiederum für den eigenen Wertprozess nutzbar gemacht werden. Für die Ausstellung im PiK übergibt Lund dem Besucher die Möglichkeit seine Stimme für die Kunstwerke seines Gefallens abzugeben. Die Bewertung, das Rating, der Besucher entscheidet über den Verbleib der Werke – die Meistgewählten gewinnen. Die kojenartige Präsentation wandelt die Halle in eine Art Schönheitswettbewerb, in der jedes Kunstwerk um seine eigene Präsenz buhlen muss. Es gibt nur ein Dafür oder Dagegen.