Künstlergruppe Observatorium im Au>rag der Stadt Köln
Eröffnung 04. Mai / Finissage 29. Juni

2009 stürzte das Historische Archiv der Stadt Köln ein. Das neue
Archivgebäude steht, die Archivalien werden restauriert, aber die
Stadtwunde bleibt. Die Künstler von Observatorium haben bemerkt, dass
die Katastrophe eine bleibende Wirkung auf das Lebensgefühl und die Lebenseinstellung vieler Kölnerinnen und Kölner hat. Nun laden sie
Bürgerinnen und Bürger der Stadt Köln ein, im Mai und Juni 2025 in
einem Panorama-Pavillon, gegenüber der Archiveinsturzstelle, an einem
„Logbuch der Zwischenzeit“ mitzuschreiben, das dem Historischen Archiv
Köln als Vorlass übergeben wird. Das Logbuch wird den Zusammenhang
zwischen dem Stadtgeschehen und dem Innenleben der Menschen dokumentieren.

Der Panorama-Pavillon am Waidmarkt ist eine Abwandlung der klassischen Darstellung der Wirklichkeit in 360o -Panoramagebäuden, die einst sehr beliebt waren und überall auf der Welt gebaut wurden. Der Betrachter betritt einen zentralen Aussichtspunkt und hat von dort aus einen Rundumblick auf die Darstellung einer LandschaZ oder eines Ereignisses. Um die optische Täuschung zu ermöglichen, ist der Pavillon ein geschlossenes Gebäude mit Oberlichtern, durch die natürliches Licht auf die Darstellung fällt.
Auf dem Waidmarkt wird dieses Prinzip des offenen Daches und der geschlossenen Wand umgekehrt: Das Dach ist geschlossen, die Wände sind offen. Wer in der Mitte des Pavillons sitzt, sieht ein 360°-Panorama der aktuellen Realität des Waidmarktes, das von Boden, Trägern und Dach eingerahmt wird. Anders als ein klassischer Panoramabau ist dieser Pavillon kein statisches Kunstwerk, sondern ein veränderbares Gebilde. Die offenen Wände können von Besucherinnen und Besuchern geschlossen werden, je nachdem, wieviel Privatsphäre oder Tageslicht und Aussicht sie wünschen. Sie entscheiden, ob der Pavillon ein öffentlich zugängliches Kunstwerk oder ein Ort der Abgeschiedenheit ist.

Noch eine weitere Umkehrung findet statt: Der Betrachter sieht nicht das Bild eines Malers oder Fotografen, sondern erhält die Möglichkeit, sich selbst ein Bild von der Wirklichkeit zu machen. Die Projektion der Wirklichkeit ist keine Gegebenheit, sondern eine Handlung. Diejenigen, die sich im Pavillon audalten und den Waidmarkt beobachten, sind eingeladen, ihre Erkenntnisse festzuhalten. Zu diesem Zweck befinden sich im Inneren des Pavillons Schränke, Tische und Stühle sowie Zeichen- und Schreibutensilien. Die Künstler, Betreuerinnen und Betreuer des Pavillons sind jederzeit bereit, auch im Gespräch die Einsichten und Erlebnisse festzuhalten.

Der Pavillon ist ein täglich begehbares Arbeitsgebäude, in dem die Kölner Bürgerinnen und Bürger am „Protokoll der Zwischenzeit“ arbeiten – der Zeit zwischen dem Einsturz am 3. März 2009 und der Gegenwart. Im Straßenbild des Waidmarkts verschwinden die Auswirkungen der Einsturz- Katastrophe allmählich aus dem Blickfeld, aber der Ausnahmezustand ist geblieben und zur Normalität geworden. In den sechzehn Jahren seit dem Einsturz haben sich die Schränke mit Büchern über das Ereignis, seine Folgen und die Wahrheitsfindung gefüllt. Der Panorama-Pavillon sammelt Gefühle. Er ist ein offenes Haus für eine offene Stadtwunde. Das Historische Archiv der Stadt Köln wird das Ergebnis dieser Sammlung als Vorlass aufnehmen und bewahren, damit die Nachwelt erfahren kann, wie sich die Katastrophe auf die Menschen und ihr individuelles Erleben ausgewirkt hat. Das können nur die Kölnerinnen und Kölner selbst festhalten; die Künstler sind ihre Gastgeber.

Andre Dekker, Partner/Gründer Künstlergruppe Observatorium Rotterdam


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