Eröffnung: Gut gebrüllt, Löwe
Nikolas Müller
Finissage: Gut gebrüllt, Löwe Kopie
Nikolas Müller
Nikolas Müller hat nach einem Designstudium in Trier lange als 3D-Designer gearbeitet, bevor er an der Kölner KHM bei Johannes Wohnseifer das Studium der Freien Kunst aufnahm, das er 2023 ab-schloss. In seinen Aquarellen und Leinwandbildern verwandeln sich die animierten Computerwelten in eine hochemotionale, freie Malerei, die der Fragilität und Sensibilität dieser körperbasierten Technik alles abverlangt und sie in eine neue, so anrührende wie packende Bildsprache überführt.
Wasser ist ein wichtiges Element in der Aquarellmalerei, und tatsächlich „zeichnet“ Nikolas Müller seine fließenden Formen zunächst in farblosen Wasserlinien auf das Papier, bevor er sie mit Farbe füllt und dadurch quasi zum Leben erweckt. Die flüssige Bewegung des weichen und spitz zulaufen-den Aquarellpinsels erlaubt eine überaus flexible Linienführung zwischen feinstem Gespinst und flächiger Ausbreitung, so dass die Formen wie beiläufig „unter der Hand“ zu entstehen scheinen und das Blatt allmählich mit einem duftigen Geflecht aus Figuren und Arabesken überziehen.
In freiem assoziativem Duktus werden aus comicartig gezeichneten Mini-Wellen große Wellenlinien, die eine im Zentrum prangende, orangefarbene Sonne gerade zu verschlingen im Begriff sind, dabei ein Segelboot zum Kentern bringen – oder je nach Lesart aus den Wellen herauskatapultieren, so dass es über die Sonne hinwegsegelt. „Ich glaube, denken ist eine unsichere Sache“ lautet der Titel dieser wie mitten im Geschehen eingefangenen Szenerie, in der auch noch ein Fisch (ein Hai?), so etwas wie ein verstörtes Seeungeheuer, ein lachender Mond und ein paar Bäume auszumachen sind….
Nicht immer sind die landschaftlichen Versatzstücke so deutlich erkennbar – häufig ist jede räumliche Ordnung aufgehoben, so dass mit harten Brüchen zwischen den Ebenen zu rechnen ist und sich immer weitere Dimensionen eröffnen. Eine fantastische Welt tut sich auf, die trotz des naiv aufge-fassten Formenvokabulars aus kindlicher Fantasie und Computerspieleästhetik den blanken Horror eines Albtraums aus jeder Ecke hervorblitzen lässt. Das Kräftemessen zwischen dem Idyllischen und dem Dämonischen wird in der wunderbar frei und malerisch hingetuschten alla prima Malerei unmittel-bar auf dem Blatt ausgefochten, wo sich die widerstreitenden Parteien am Ende doch ergänzen. Wie bei dem mit „Freundschaften“ betitelten Blatt, das ein Reiherpärchen mit einem bedrohlichen chine-sischen Drachen im Lichtkreis einer großen roten Sonne zusammenführt.
Gute Kunst öffnet den Horizont auf unbekanntes Terrain. Hinter den farbintensiven Aquarellen von Nikolas Müller stehen biographische Erfahrungen mit Normabweichungen und einer durch eine Erkrankung erweiterten Wahrnehmung. Bei aller malerischen Virtuosität lässt der Künstler dem Zufall genug Spielraum, um ein nachdrückliches Bild von Kontrollverlust und einem haltlosen „Schwimmen“ in einer wabernden Gemengelage aus Gefühlen, Wünschen, Ängsten und Überforderungen zu ent-werfen. Das wunderschöne Farbenspiel, besonders auch die zarten Verläufe zwischen den dualisierenden Farben Blau und Rot, feiert die Verbindung der Gegensätze als Bereicherung und Entgrenzung. Es unterstreicht das Schillernde und sich stetig Wandelnde dessen, was zu sehen ist und die volle Aufmerksamkeit lohnt.
Sabine Elsa Müller