Auf der Suche
Begreift man den Ebertplatz als den sozialen Raum, der er ist, abgeleitet von seiner Funktion als identitätsstiftendes, repräsentierendes oder kommunikatives Element innerhalb einer Stadt, wird deutlich, dass man seine Gestalt nicht nach äußeren ästhetischen Maßstaben bewerten kann. Seine verwinkelten Ecken und der Beton bringen eine Dunkelheit mit sich, die den Blick auf das soziale Netzwerk hinter der visuell sichtbaren Architektur verschleiern mag. Ein Gemenge aus Vorbeiströmenden, Handelbetreibenden und Kulturschaffenden lässt den Ebertplatz zu einem nicht eindeutig zu fassenden Ort werden – eine Undefinierbarkeit, die bei vielen ein schlechtes Gefühl hervorrufen mag. Der Wunsch nach Ordnung und Sauberkeit ist groß, aber ist er gerechtfertigt? Klare Strukturen schaffen Übersichtlichkeit, aber auch Langeweile. Besonders, weil sie an öffentlichen Plätzen wohl aus kleinstmöglichen Kompromiss heraus entwickelt werden müssen, damit sich alle Seiten kompatibel geben können. Dieser Nenner kann kaum etwas Produktives hervorbringen, vielmehr bleibt man – wie um den Dom geschehen – bei Austauschbarkeit und Leere stehen. Die Misere des Doms ist weitergezogen an den Ebertplatz. Hier hat sich etwas entwickelt, dass ganz dem städtischen Leben entspricht: produktives Chaos. Es scheint, als hätten sich unglücklicher Weise die anderen Menschen den Ort zu eigen gemacht, aber solche Aneignungen sind nicht von vornherein steuerbar, denn die Freiheit einen Raum zu nutzen sollte für jeden gelten und nicht nur für einige. Doch nimmt das Andere vermeintlich überhand, so werden die polemisierenden Reden und der Kontrollwahn groß. Jacques Palminger verweist mit John Holt („Police in Helicopter“, 1983 erschienen auf dem britischen Reggae-Label Greensleeves) auf die paradoxe und parallele Dualität von Sicherheit wahren und Sicherheit kaputtmachen:

»Polizeihubschrauber suchen uns von oben / Fliegen über Wälder / Verbrennen unsere Felder / Soldaten in der Luft / Suchen und zerstören / Aber wenn das immer weiter geht, werden wir auch immer weiter gehen / Wir sagen Auge um Auge / Raus aus unseren Wolken / Felder gegen Wälder / Und dann fallen sie vom Himmel«¹

Kontrolle und Hysterie machen den Ort zu einem vermeintlich gefährlichen Raum, sodass sich beide Seiten nur voneinander wegbewegen können, und anstatt auf Augenhöhe mit der sozialen Realität umzugehen, wird kontrolliert, eingeschränkt und zerstört.

René Kemps „Tondo Soziale“ verweist schon im Format, das uns der Titel vorgibt, auf einen würdigenden und ebenbürtigen Blick auf die soziale Struktur am Ebertplatz. Konfrontiert werden Perspektiven, die gegenläufig anmuten, aber dennoch in einem sozialen Raum unvermeidbar aufeinander treffen. Es wird bloß Unerwünschtes übernervös zu Seite gekehrt, als würden die dreckigen Teile des Lebens nicht genauso repräsentativ sein, wie die scheinbar schönen. Die gezeigten Objekte, erweiterte Readymades, die ohne den Rahmen sich nicht im Wesen vom Alltäglichen unterscheiden, wollen sich nicht als Kunstobjekte isolieren: Sie sprechen eine Sprache, derer man sich in Form eines Bildes klar werden kann. Doch nicht nur die Präsentation, sondern auch das runde Rotondo-Format setzt die beiden Objekte in Beziehung zueinander, es schafft eine Einheit, die rezeptiv entstehen kann. Nicht nur das geschriebene Wort, sondern die Bildträger selbst – als Objekte – verweisen auf soziale Räume und assoziative Strukturen, die direkt mit dem Ort der Präsentation, dem Ebertplatz, in Verbindung stehen. Eine Idee, die eine durchaus konkrete Realität über die Grenzen der Präsentation hinaus beinhaltet, und auf der Suche nach den treffenden Bildern und Worten zur hiesigen Situation formuliert wurde.

Text: Hannah Rhein

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¹Jacques Palminger and The Kings of Dub Rock: Polizeihubschrauber, Mondo Cherry. Hans E. Platte, Hamburg 2017.