So wie bereits der Titel der Ausstellung zwei Begriffe kombiniert, deren Zusammenführung nur vermeintlich einen dritten, neuen Sinn ergibt, sind auch die Gemälde und Plastiken von Stefanie Popp eigentümliche Konglomerate, die lediglich auf den ersten Blick etwas unzweifelhaft Sinnhaftes haben.

Der Ragtime als Musikform ist weder etymologisch noch stilistisch eindeutig herzuleiten und somit stellt ein RAGTIME THEOREM als wissenschaftlicher „Lehrsatz“ eine Absurdität in sich dar. Ebenso führen auch Popps zunächst so gesetzt und konstruiert wirkende, mitunter symmetrische Kompositionen, mit ihrem klar konturierten Figurenrepertoire in gebauten Räumen, in die Irre: Die streng perspektivisch angelegten, bühnenhaften Interieurs sind bei näherer Betrachtung ähnlich enthoben wie ein Hortus Conclusus, der die Madonna oder das Gehäuse, das den Heiligen Hieronymus umgibt. Sie definieren Orte, die alles andere als konkret, sondern vollkommen von der realen Welt losgelöst und überzeitlich erscheinen. Die starken Synkopen des Ragtime begründen (nach einer von mehreren Theorien) die Herkunft seines Namens von „ragged time“ – zerrissene Zeit: Auch in den Gemälden Popps ereignen sich rätselhafte „Aussetzer“ –
Bedeutungs- und Zeitsprünge wie im Traum, die hier wie dort mit einer eigenartig zwingenden Logik des Absurden zutage treten.

Die Künstlerin bedient sich, ähnlich wie in der Wahl des Ausstellungstitels, eher formal als inhaltlich einer komplexen Begrifflichkeit aus der Symbol- und Motivwelt christlicher
Ikonographie, indischer Mythologie bis hin zur Popkultur. Diese Referenzen, die bei der Betrachtung auch unbewusstes kulturelles Wissen aktivieren und eine Art geistigen und psychischen „Bild-Widerhall“ erzeugen, erschaffen neue symbolhafte Setzungen und seltsam entrückte Protagonisten, „als würden die Figuren selbst träumen“, wie es die Künstlerin
umschreibt. Diese sind voller Ambiguität, vereinen manchmal beide Geschlechter in sich, sind weder eindeutig gut oder schlecht. Ihre Zuordnung und Interaktion auf geschlechtlicher Ebene hat wenig erotischen Charakter, Sexualität tritt im spirituellen Sinne als höchste Vereinigung der Gegensätze in Erscheinung.
Die Figuren üben eine mysteriöse Anziehung auf den Betrachter aus, blicken ihn aus den Bildern hinaus an und halten ihn gleichzeitig in ihrer allegorischen Anmutung und hieratischen Beschäftigung mit sich selbst auf Distanz.

Analog zu den Gemälden, auf denen sich fein ziselierte, flächig deckende, kontrastreiche und scharf abgegrenzte Malpartien mit zart transparenten, ephemeren Zonen oder sogar der puren Leinwand gegenüberstehen und in einem spannungsvollen Verhältnis von Reduktion und Detailversessenheit die Balance suchen, zeigen auch die Plastiken von Stefanie Popp eine ambivalente Mischung aus gebauten, gezielt geformten und organischen Bestandteilen: Fundstücke aus der Natur wie z.B. Äste, denen die Elemente Wind, Wasser und Feuer einen amorphen und vieldeutigen Umriss verliehen haben, werden zusammengesetzt mit Versatzstücken der Kultur wie z. B. Buchseiten und -rücken. Oft bilden Bücher bei den dreidimensionalen Gebilden die Sockel oder bemalte Leinwände dienen als virtuelle Plattformen für die Szenerien auf den Bildern von
Stefanie Popp – wie Fundamente kultureller Übereinkünfte, deren tragende Eigenschaften dennoch höchst fragwürdig scheinen.
Die Plastiken der Künstlerin wirken weniger geplant als gewachsen. In ihrer Wesenhaftigkeit, mit ihren manchmal offensiven sexuellen Verweisen, erzeugen sie im Betrachter ähnlich ambivalente Gefühle wie Fetische oder Ritualgegenstände fremder Kulturen, zugleich belustigend
und beunruhigend, zwischen magischer Aufladung und naiver Verspieltheit changierend.

Stefanie Popp ist 1974 geboren und studierte bis 2003 an der HBK Braunschweig bei Walter Dahn. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Köln.