Unter dem Titel SHAME präsentiert die Gruppenausstellung vier Künstler*innen, die in ihrer Praxis Anknüpfungspunkte an das Thema Scham aufweisen. Die Scham ist ein Affekt, der die Anpassung an gesellschaftliche Normen reguliert, indem das Subjekt sich selbst als unzureichend empfindet, wenn es die – von ihm verinnerlichten – Erwartungen einer sozialen Gruppe nicht erfüllt. In der Scham sieht sich der Schämende durch die Augen des Anderen als unzureichend oder gescheitert. Auf diese Weise offenbart das Gefühl der Scham die Grenze
zwischen dem, was in der Öffentlichkeit gesellschaftlich anerkannt ist und dem, was in das Private/Persönliche verbannt wird. Welchen Effekt hat es, wenn ich das, wofür sich die Mehrheit schämt, in einem bewussten Akt an die Öffentlichkeit trage? Was bedeutet es, wenn solche Gefühle, für die sich vormals geschämt wurde, plötzlich gesellschaftsfähig werden? Welche Verschiebung hat die Schamgrenze durch die sozialen Medien erfahren?

Aleksandra Bielas, Sonja Cvitkovic, Sofia Duchovny und Gernot Wieland präsentieren neue Arbeiten, die in den Formaten Skulptur, Installation, Zeichnung, Text, Sound und Video das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, öffentlich und privat, Anpassung und Abweichung hinterfragen.

Aleksandra Bielas (*1980 in Tychy) arbeitet mit Texten, Performances und verschiedenen Druckmedien. Ihre Texte erzählen intime Details aus dem Liebes- und Sexleben einer weiblichen Ich-Perspektive. Stets bleibt es für den Leser unklar, ob Autorschaft und narratives Ich identisch sind. Die emotionale Offenheit und detaillierten Beschreibungen intimer, oftmals sexueller Begegnungen lösen bei den Lesenden respektive Zuhörenden zumeist ein Gefühl der Scham aus
– sei es in Form des Fremdschämens für die Autorin/Lesende oder ihre LeserInnen/ZuhörerInnen.
The Red Button (2018) ist ein Hörspiel, in dem Bielas einen ihrer Texte erstmals in ein auditives Medium übersetzt hat. Damit verschiebt sich der performative Aspekt ihrer Arbeit vom Akt des Lesens zum Akt des Zuhörens und changiert zwischen lustvoller Auflösung der Scham und voyeuristischer Lust. Die amerikanische Autorin und Kunstkritikerin Chris Kraus bezeichnet die
weibliche Scham als Unterdrückungsmechanismus, durch den die weibliche Perspektive klein gehalten wird. In der Tradition von Kathy Acker, Chris Kraus und Maggie Nelson lässt sich auch Bielas Ansatz als Wiederaneignung und feministischer Ansatz verstehen, die weibliche Lust zu enttabuisieren und aus dem Dunkeln ihrer Scham zu lösen.

Sonja Cvitkovic präsentiert im Rahmen der Ausstellung eine Installation, die Spannungen aus ihrer bikulturellen Identität thematisiert. Cvitkovic skizziert ihre innere subjektive Fremdheit und die daraus entstehende Spannung zwischen Eigenem und Fremden, Innen und Außen. Die Künstlerin materialisiert ihre Gedanken und Empfindungen zu widersprüchlichen Erfahrungen innerhalb der eigenen Sozialisation. Zartrosa Kugeln liegen auf Feldern aus Zucker, Teppich und Gips, die die rollenden Objekte zum Stillstand bringen. Die Kugeln sind mit Sisal umwickelt und erinnern an Kratzbäume. Unregelmäßig geformte Zuckerbrocken liegen zerstreut herum: Sie liegen locker hingeworfen vor den Kugeln oder stecken auf einer Taubenabwehr. Der Zucker stammt aus Bosnien-
Herzegowina und wird mit seiner individuellen Form beworben. Kein Stück gleicht einem anderen. Er wird weiterhin über die Grenzen nach Kroatien, Slowenien und Serbien und weitere Balkanländer verbreitet. Cvitkovic macht die groteske Wirklichkeit mit ihren Paradoxen und widersprüchlichen Symbolen und Bildern sichtbar. Mit Humor und Leichtigkeit zeigt sie, dass der sterbliche,
konsumierende und sich reproduzierende Körper nicht ganz in den Griff zu bekommen ist.

Sofia Duchovny (1988 in Moskau) überträgt in ihrer künstlerischen Praxis Methoden der Malerei auf andere Medien wie Skulptur oder Aquarelle. Sie interessiert sich für die Idee des Kunstwerks als flexibles, nicht-passives Objekt und für dessen transformatives Potenzial. Hierbei nimmt sie besonders Arbeitsprozesse und die Situation der/des Künstlerin als flexiblen Arbeiter in wechselnden Umgebungen in den Blick. Duchovnys Arbeiten nehmen die Form von mobilen Skulpturen an, die sie raumspezifisch platziert. Als temporäre räumliche Intervention gewinnen Duchovnys Skulpturen einen performativen Charakter. Ohne Titel (2017) erscheint wie ein sich bewegender Körper im Raum. Die filigrane Materialität der haltenden Glieder und die Transparenz des sowohl an Haut als auch an Dessous erinnernden Tülls, den die Künstlerin flächig aufspannt, spielen mit der Durchlässigkeit und Temporalität von Räumen und Körpern, deren Spannung sich jederzeit auflösen könnte. In der neuen Kleinskulptur Bat 1, 2018 knüpft die Künstlerin an die Idee der Skulptur an und kombiniert sie mit einem Aquarell, das die Flüchtigkeit und Flexibilität der größeren Form aufgreift.

Gernot Wielands (*1968 in Horn, AT) Arbeit basiert auf Narration und Erinnerung. Er arbeitet vor allem mit Text, Video und Lecture Performance um psychologische Zusammenhänge der Gesellschaft und der Menschen zu untersuchen. Der Künstler verbindet persönliche und historische Erzählungen mit wissenschaftlichen Fakten, fiktionale und reale Elemente mit tragikomischen Ereignissen und entwickelt dabei gleichsam humorvolle, absurde und
berührende Geschichten. Seine neue, eigens für die Ausstellung produzierte Videoarbeit Ink in Milk (2018) verknüpft verschiedene Geschichten, die erzählen, was Scham bedeutet. Sie umfasst Erzählungen und Erinnerungen an seine Kindheit in einem österreichischen Dorf und Gedanken zu sozialer Herkunft und dem Aufwachsen in Institutionen.

Kuratiert von Nadja Quante.

PiK – Projektraum im KunstWerk, Deutz-Mülheimer-Straße 127, 51063 Köln

Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Künstlerhaus Bremen, wo sie anschließend vom 30. Juni bis 2. September 2018 in veränderter Form zu sehen sein wird.