Enigma – das titelgebende Wort griechischen Ursprungs für Rätsel beinhaltet immer auch
die Suche nach dem Schlüssel, um eine codierte Chiffre auf ihren eigentlichen Inhalt hin
zu prüfen. In der Einzelausstellung von Jürgen Tetzlaff im kjubh Kunstverein knüpft sich
daran unweigerlich die intensive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand als Träger einer
vermeintlich dahinterliegenden Botschaft.
Dieser bewusst gewählte Titel des in Köln lebenden Künstlers gewährt textuell einen ersten
Einblick in das komplexe OEuvre, das konzeptuell mit der Abbildung auf der Einladungskarte
beginnt und visuell den Ausgangspunkt der Ausstellung markiert. Das großformatige
Ölgemälde Komplex aus 2016 mit seinem eigenwilligen und reichen Farbkosmos
negiert die Figuration und lehnt sich formal an den Tachismus an, der sich in den 1940er
Jahren aus dem französischen Informel in Paris entwickelte. Die visuelle Dichte des
Gemäldes, das stolz dem Betrachter seine facettenreichen, von wirkungsvollem Orange
kontrastierten Blaunuancen offeriert, mündet schließlich in einer Vielzahl von grünlichen
Farbfeldern, punktiert von gelben und weißen Tupfern. Trotz des gestisch expressiven
Pinselduktus‘ des Künstlers scheint das Bild ohne kompositorisches Zentrum und zeichnet
sich vielmehr durch die Gleichwertigkeit aller Elemente im Bild aus. Gleichsam verhindert
die Harmonie den neuronalen Impuls, die ‚Farbflecken‘ zu einem erkennbaren
Gegenstand zu montieren. Sobald das Auge ein Muster zu erkennen glaubt, durchbricht
ein scheinbar zufällig gesetzter Strich oder ein kleines komplementäres Farbfeld dieses
Bemühen und führt den Betrachter subtil in eine neue Art der Bildbetrachtung. Mit der
Negation der Montage zu konkreten Bildgegenständen führt Jürgen Tetzlaff den Rezipienten
tiefer in seinen künstlerischen Kosmos. In diesem wohnt der zweidimensionalen
Oberfläche eine melancholische Poesie inne. Dabei ist es unwesentlich, ob dezidierte literarische
Impulse, reale Begebenheiten oder die intensive Reflexion zwischenmenschlicher
Beziehungsgefüge als Inspirationsquelle bekannt sind. Die Gemälde Tetzlaffs besitzen eine
Kraft, die vom Betrachter unmittelbar erfasst wird, die gleichermaßen eine intensive
Studie fordert, ohne etwas von ihrer dynamischen Unmittelbarkeit zu verlieren.

Dagegen wirken die kleinformatigen Zeichnungen mit schwarzen Stift auf weißen Papier,
in die sich primär die Farben rot, blau und grün mischen, als wollte Jürgen Tetzlaff kleine
verschlüsselte Nachrichten übermitteln. Die feinen Schraffuren mit ihren kurzen stakkatohaften
Strichen der motivisch mehr- bzw. uneindeutigen Zeichnungen wecken formalästhetisch
Assoziationen an die Dessins automatiques, eines der künstlerischen Verfahren
der Surrealisten, das einen ungebrochenen Zugang zum Unterbewusstsein gewährleisten
sollte. Im Zuge des ‚psychischen Automatismus‘ entstanden die so genannten Cadavre
Exquis, Ecriture automatique und Dessins automatiques, die als literarische und bildnerische
Techniken begriffen wurden, um das Unterbewusste zu aktivieren und zu visualisieren.
(Vgl. u.a.: Nadeau [1965]; Schneede, Uwe: Malerei des Surrealismus, Köln 1973; Spies, Werner;
Merly, Isabelle: Die surrealistische Revolution. Ausst.-Kat. Surrealismus 1919 - 1944 K20
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 20. Juli bis 24. November 2002 u.a. Ostfildern
2002.; Spies, Werner: Der Surrealismus. Kanon einer Bewegung. Köln 2003; Schneede, Uwe: Die
Kunst des Surrealismus. München 2006.)

Das rationale Denken und die Kontrolle durch den Geist sollten für die künstlerische
Produktion weitestgehend ausgeschaltet werden, was man u. a. durch die
Anwendung von Hypnosetechniken, Séancen, Schlafentzug beziehungsweise arbeiten im
Halbschlaf, Spontanität oder Assoziationsketten zu erreichen suchte. (Vgl. Poivert, Michel: Gedankenbilder. In: Bajac, Quentin (Hrsg.): Subversion der Bilder. Surrealismus, Fotografie, Film. Ausst.-Kat. Subversion des images Fotomuseum Winterthur u.a.
Winterthur 2010. S. 43–48, 43 sowie Schneede [2006], S. 23–32.)

Jürgen Tetzlaffs zeichnerische Arbeiten oszillieren zwischen geometrischer Ordnung und
spontaner Skizze, welche die begonnene Geschichte in ihrer intendierten Narration selbst
zu konterkarieren trachtet, und unterstreichen damit den unbewussten Teil der Werke.

Hingegen scheint die Wahl des Titels Tom und Jerry aus 2014, des konzeptuell zentralen
Blattes für die ausgestellten Zeichnungen, sinnbildlich auf einen gezielt gelenkten Teil des
Dargestellten zu verweisen. Obwohl keiner der weltberühmten Comic-Kontrahenten auf
dem Exponat zu erkennen ist, unterstreicht der Titel die Überspitzung einer natürlichen
Ordnung, in der die Katze die Maus jagt. Darüber hinaus impliziert die innergeschichtliche
Umkehrung, in der stets die Maus die Katze überlistet, deren geistige Überlegenheit bei
gleichzeitiger körperlicher Unterlegenheit.

Folgt der Rezipient der Spur des Titels, der die unsichtbare Geschichte in den Vordergrund
stellt, offenbart sich die feinsinnige Konzeption des Künstlers. Betrachtet man die
Zeichnung selbst, tritt die enigmatische Unmittelbarkeit mit aller Kraft in Erscheinung.
Nadia Ismail