Max Grün beschreibt in seinem Gesellschaftsroman Stellenweise Glatteis von 1973 das Aufbäumen eines Einzelnen gegen den Machtmissbrauch eines Konzerns. Redensarten um die glatte Gefahr für sich oder andere, bereichern unseren Sprachraum nachweislich seit dem 13. Jahrhundert. Die Künstlerinnen Céline Berger und Nina Olczak nutzen dieses Bild der unsicheren Rutschpartie, in dem sich ihre scharf gezeichneten und zugleich poetischen Portraits verbinden lassen. Diese schlingern auf einem sicheren Boden aus Fakten durch eine undurchsichtige Kritik, um eine unstete Prognose über den Zustand von Sprache und politischer Gesellschaft zu formulieren.

Berger bedient sich seit Jahren konsequent der Methoden und der Sprache der Arbeitswelt. Die dem Business Coaching zugrundeliegende Haltung der Optimierung des Individuums durch Training und Tools, führt sie in Skulpturen und Videoinstallationen einer aktuellen Werkserie um den Kurzfilm Ballade vor. Diese Serie legt die interne Kommunikationsstruktur der Arbeitswelt offen und fußt auf Zitaten aus Coaching Seminaren und Gesprächen, welche die Künstlerin über zwei Jahre regelmäßig besuchte. Ihre Protagonisten glauben an die Macht der Worte, aus denen sich ihr Antrieb immer wieder konstituiert. Die Businesssprache und die ihr anhaftende Weltanschauung schleichen sich sogar in private und emotionale Beziehungen ein.

Das marktwirtschaftliche Streben der Gewinnmaximierung, das sich im postfordistischen Zeitalter auf den Menschen und seine Leistungssteigerung überträgt, verbindet sich mit der Polotubbies-Serie der Performancekünstlerin Nina Olczak. In ihrer filmischen Momentaufnahme von einem Land im Umbruch entdeckt sie eine neue Sorte Mensch. Olczaks humoristische und ironische Darbietung von Leistungsübungen, gekleidet in polnischen Nationalfarben, erreicht seine dramatische Tiefe durch die Kombination mit einem Gespräch über die ansteigende Unfreiheit der polnischen Medien. Die von der Künstlerin bereits vor einem Jahr prognostizierte Kontrolle des öffentlichen Dialogs durch die Politik erreicht derzeit mit jedem neuen Zeitungbericht eine weitere beängstigende Stufe der Realität.

Ohne Lösung, aber als Aufbäumen eines Einzelnen gegen den Machtmissbrauch eines Systems, versteht sich auch Ihre Performance Revolutionsmanöver, die Besucher augenzwinkernd einlädt, sich vorsorglich Polotubbie-like für die Revolution zu rüsten.

‚An artist is an artist is an artist….‘. Nahezu mantrisch gibt dies Roland Kupers, einer der Direktoren der Amsterdam School of Creative Leadership (THNK) über zehn Minuten in POEM, einem weiteren Werk von Céline Berger, wieder. Vom Protagonisten gekonnt, undurchschaubar und ernsthaft präsentiert, sucht ein Betrachter nach dem vermeintlichen Bruch der Videoperformance. Vergebens. Ein Bruch vollzieht sich nur beim Betrachter selbst, der mit seiner Aufmerksamkeit und der Akzeptanz dieses Mantras kämpft, das physisch kaum auszuhalten ist.

Was bleibt, ist an artist. Ein Künstler, der das Eis bricht, gesellschaftliche Umbrüche kartographiert, sie zur Diskussion stellt. Ein Künstler, der sich nicht beugt, auch wenn es das Individuum unter dem Druck eines mächtigen Systems wie der Sprache oder der Politik tut.

Die Ausstellung ist kuratiert von Lisa Bensel, freie Kuratorin und kuratorische Assistenz an der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, im Rahmen der einmal jährlich stattfindenden Carte blanche bei TYSON.

Céline Berger (*1973, Saint-Martin-d'Hères, FR) lebt und arbeitet in Köln und Rotterdam, NL

Nina Adeladja Olczak (*1980 in Świecie/Schwetz, PL) lebt und arbeitet in Kopenhagen, DK


Premiere Ballade (2017) von Céline Berger im Kino des Dortmunder U voraussichtlich im März.
Mehr Info: www.medienwerk-nrw.de